Wein, Weib und Gesang... Spanien (2004/2005).

Ist das nicht ein schöner Anfang - ankommen wenn das größte Ereignis des Jahres in voller Blüte steht! San Mateo, das Fest der Weinlese!
Logroño, unbekannte Hauptstadt der bekannten spanischen Provinz La Rioja und meine temporäre Heimat, liegt beschaulich am rauschenden Flusse Ebro, eine übersichtliche, aber lebendige Stadt voller aufgeschlossener und feierfreudiger Menschen. Und die sind eine Woche lang zu nichts anderem zu gebrauchen als in den Gassen der Altstadt ausgelassen dem Rotwein- und Biergenuß zu frönen. Die wohl bekannteste Gasse ist die Calle Laurel, durch sie und ihre Travesien schiebt man sich von einer Pincho-Bar zur nächsten, ein Glaserl Rioja nebst einem Pincho in der Hand und ausgelassen diskutierend. Die Bewohner der dortigen Häuser sind besonders in dieser Zeit nicht zu beneiden. Aber wer Ruhe will, sollte auch nicht nach Prenzlauer Berg ziehen (alte Bauernregel).
Es dauert seine Zeit, sich von dieser Woche zu erholen und so manche Barbesitzer haben es auch eine Weile nicht mehr nötig, zu öffnen, verprassen erstmal das gescheffelte Geld in der Südsee. Zeit, das Auge schweifen zu lassen.

Das nördliche Spanien bietet dem Besucher eine abwechslungsreiche Mischung aus Meer, Bergen und anderem Zeug. Flugs den Anfang gemacht mit Bilbo, dem Nicht-Basken eher als Bilbao geläufig und Hauptstadt des Euskadi (Baskenlandes). Im Bestreben, den Ruf als Arbeiterstadt abzulegen und sich aufzumotzen, hat man sich das Guggenheim, bekanntes Kunstmuseum und seiner architektonischen Besonderheit weit über Euskadi ein Begriff, hinstellen lassen. Es besticht das Laienauge mittels lustig die Sonne reflektierender Dingers und macht so ordentlich was her. Für den ungetrübten Genuß des Inneren muß man geschaffen sein: Moderne Kunst wo man hinschaut. Große Namen wie Roy Lichtenstein bringen den Glanz in des Kenners Auge und wechselnde Ausstellungen ziehen die Massen an.
Das Marinemuseum muß aber auch sehr interessant und groß sein. Leider hat sich ein Besuch nicht ergeben und die Stadt des weiteren meinem (verwöhnten?) Auge kein weiteres Hochlicht geboten.

Von Bilbo aus führt eine Küstenstraße nach Westen, dort zeigt die Atlantikküste ihre rauhe, aber nicht abstoßende Seite. Auch im Dezember hat die Gegend mit ihren steilen Küsten und verschlafenen Dörfern ihre Reize. Hier und da laden kleine Pensionen, 'Casa Rural', zum Übernachten ein. Weiter der Straße folgend kommt man nach Santander, das aber im Dezember einiges von seiner Anziehungskraft einbüßt. Bei regnerischer Kühle und ganz allein (schnief) hat mich dort nichts gehalten.
Dem Reiz der vielen Stadtstrände, der Isla mit ihrem Park und der Innenstadt können im Sommer mit Sicherheit die wenigsten widerstehen.

Östlich von Bilbo wartet San Sebastian - die Perle des Nordens! Der Stadtstrand harrt in seiner Schönheit des geneigten Badenden, der Monte Urgall - von dem man einen wunderbaren Blick über die Stadt hat - will erstiegen werden, um seine Geschichte von der Verteidigung gegen die Franzmänner zu erzählen. Danach läßt sich trefflich in den Gassen der Altstadt schlendern um die Kehle mit einem kühlen Bier oder Mosto zu befeuchten und ein paar Pinchos zu schnappen. Und wenn die Sonne endlich untergeht, kann man sie über die sanft schwankenden Segelboote im Meer verglühen sehen.

Zaragoza, Königin des Aragon, ist eine Reise wert! Gutes Schuhwerk ist gefragt, wenn es an die Erkundung der historischen Stadt geht. Die gigantische Kathedrale - die durch ihre Ausmaße als auch ihre inneren Werte besticht - beherbergt nicht nur tolle Fresken und uralte Altäre, sondern auch die angeblich täglich neu angezogene Marienstatue, die zum jährlichen Pilar-Fest durch die Straßen eskortiert wird. Die angrenzende Plaza Mayor mit dem Rathaus und den anderen Gebäuden, die den Einfluß der Mauren nicht verleugnen können, Kirchen, Türme und Paläste bieten dem Interessierten genug Sehenswertes für einen ausgefüllten Tag. Das finden auch die zahlreichen Touristen, ein Besuch an einem Arbeitstag ist angeraten.

Burgos, die altehrwürdige Dame hinter den großen Bergen muß dem Modernisierungswahn der Neuzeit einige Klein- und Großodien geopfert haben. Ein Rundgang ist schnell gemacht, der Charme der mittelalterlichen Hochburg beschränkt sich auf wenige Plätze wie den Park mit seiner beeindruckenden Akazienallee, die Kathedrale ohne Türme, das vom einstigen Ruhm kündende Stadttor. Dazwischen versaut moderner Sozial- und Billigbau das Bild und mutet jedem viel Fantasie ab, der das alte Burgos im Geiste wiederzubeleben sucht. Mein Rat: nur bei Sonnenschein besuchen.

Peng! Die Saison ist eröffnet! Der Wandersmann sei auf der Hut und auffällig betucht, um nicht für einen kapitalen Hirschen gehalten zu werden und nach einem Blattschuß schweißend auf dem Anhänger zu landen. Ja, hier gibt es sie noch, die einfachen Freuden des Landmannes!
Und auf den bürgerlichen laufbegeisterten Fremden wartet das Valle de Escaray, welches zum Wandern einlädt, als auch die 'Casa Rural', Herberge für ein gemütliches Wochenende unter Freunden, gemeinsam kochen, spielen und im Suff das Haus verwüsten. Die Idee, Kleinstadt-Kneipen im Winterschlaf in lustiger Verkleidung zu überfallen, war keine so schlechte und hat bei den Betroffenen kaum Mißfallen erregt. Tolerant sind sie ja, die Spanier.

In Logroño kehrt irgendwann der Winter ein und beglückt manchmal auch den Espolon, den zentralen Platz, mit weißer Pracht. Die Kathedrale Santa Maria de la Redonda und die hoch oben auf ihren Türmen mit den Schnäbeln klappernden Störche bekommen auch was ab.
Man mauert sich nun ein und geht nur noch raus, wenn es unbedingt nötig ist. Die armen Spanier sind auf sowas weder mental noch physisch noch materiell eingerichtet und können mit Kälte und Schnee (besonders auf der Straße) nicht umgehen. Erhöhte Unfallgefahr droht. Das Schneeräumen ist vor allem in abgelegenen Dörfern noch nicht bekannt. So waren im Jahrhundertwinter 2005 einige nördliche Landesteile von allem abgeschnitten. Da soll noch einer sagen, in Spanien gäbe es keinen Winter!

Apropos Winter: Wenn der Straßenzustand wieder Reisen abseits der Autobahnen erlaubt, sei einem das Navarra ans Herz gelegt. Wie viele Nachbarprovinzen dem Rioja in Wirtschaftskraft weit unterlegen, protzt es mit Gegend, sobald man den Ebro in nördlicher Richtung überquert. Es warten alte, zerfallende, leblos scheinende Dörfer, Bergketten und große Täler, Windräder und reichlich Menschenleere, soweit das Auge reicht. Endlich! Endlich Ruhe und Luft zum Atmen! Nur schrumpelige bekopftuchte Frauen, die dem unbekannten Auto hinterherstarren, bewaffnete Jäger, das Großwild auf dem kleinen Anhänger, lustig plätschernde Flüßlein, verlassene Hütten, enge Serpentinen...und das irritierende Hell-Dunkel, das die gigantischen Flügel der unzähligen Windräder verursachen. Es ist wirklich verdammt windig und arschkalt hier auf dem Kamm.

Als gut beschuhter Landschaftsliebhaber hat man hier seine Ruhe, denn nicht gerade viele Spanier bewegen sich weit von ihrem Auto weg. In der Sierra de San Lorenzo, zum Beispiel, kann man außerhalb der Schneesaison mit dem PKW auf den asphaltierten Straßen durch die Weite der Bergwelt fahren, wenn Schnee liegt, muß man es anders versuchen. Hier oben entspringen kleine Quellen, an denen man sich laben kann, der Blick geht weit übers Land. Und eine Winterjacke ist ein kostbares Gut. Wer hätte das gedacht?!

Ruinen galore! Die verstreuten Schloß- und Kirchenruinen zeigen, daß das Landleben vorbei ist, doch auch, daß man auf geschichtsträchtiger Erde wandelt. Was war hier wohl früher los?? Die Hölle?
Ein netter Sonnenuntergang taucht die sichtbare Welt in Rot jeder Tönung und nötigt mich, mal richtig abzudrücken.

Um den Winter abzuschütteln, kann man sich ins Flugzeug setzen und ist - mit dem richtigen Ticket - in Kürze im Süden der iberischen Halbinsel. Wenn man etwas unbedarft ist (oder dafür bezahlt wird), verläßt man Malaga oder Sevilla gleich nach dem Aufschlag und wendet sich dem südlichsten Zipfel des Landes zu, wo sich Europa und Afrika den kontinentalen Finger entgegenstrecken. Bekanntermaßen ist Gibraltar englisch und die Zeit mal wieder kurz. Bei geschätzten 36-Stunden Stippvisite blieb zumindest soviel Zeit, den berühmten Hügel nächtens abzulichten. Es war in La Linea, der trostlosen spanischen Stadt vor dem Zaun und es war der 21. Dezember.

Auch das arme Aragon, östlich des Rioja gelegen, hat einiges zu bieten: beispielsweise Thermalbäder, Zugang allerdings nur saisonal. Im Winter kann man sich die Lustgärten und alten Badepaläste nur von der Straße aus besehen, durch die vergitterten Fenster der Bäder hört man ein Plätschern. Das Thermalwasser sprudelt hingegen auch aus ein paar gemauerten Quellen an der Straße. Offenbar hat dieses Gewerbe bessere Zeiten gekannt, worauf der teilweise sehr pflegebedürftige Zustand der Anlagen hindeutet. Aber ein morbider Charme ist trotzdem ein Charme.

Auch wenn sie keine nahen Verwandten waren, die alten Iberer, sie haben sich ordentlich Mühe gemacht mit ihren steinernen Mausoleen. Einige Hinweistafeln besiedeln die Straßen des Navarra, Alava und Rioja, doch die zumeist recht kärglichen Überbleibsel der Grabstätten erzeugen wohl nur noch bei manischen Altertumsforschern feuchte Augen.
Auch hier im Alava, irgendwie Teil des Navarra, besteht alles hauptsächlich aus Gegend, allerdings darf es am teuren Namen Rioja teilhaben und Wein unter der geschützten Marke verkaufen.

Ein paar Tage nach den Erbauern dieser megalithischen Erdmöbel waren die Römer hier und haben ein paar Bauten hinterlassen, die durch die Haltbarkeit und Architektur selbst den Laien erstaunen. Das Reich verlangte schon 300 v. Chr. nach spanischem Wein. So ist die gigantische Brücke, die einst den Ebro überspannte und seiner unbändigen Zerstörungskraft bis in die Neuzeit trotzt, stummer Zeuge der römischen Baukunst - und Weinseligkeit. In vino veritas! Hicks!

Sollte man nicht die Hauptstadt gesehen haben?? Von Logroño liegt sie etwa 4 Busstunden südlich, auf schmalen Serpentinen hinweg über die Sierra, die La Rioja vom heißen Süden trennt, vorbei an Burgos, dann wird es langweilig und trostlos, das trockene Landeszentrum ist zu durchqueren. Und endlich die Ausläufer der Metropole, die an der Steppe lecken und sie langsam fressen.
Madrid, ein Moloch. Schrecklich lange U-Bahnschächte, überall Menschen, Autos, Abgas- und Großstadtgestank - wie nett wohnt man doch in der Provinz!
Doch es gibt etwas zu sehen, etwa den Kristallpalast, Oase im Park nach anstrengender Stadtwanderung. Echte - wenn auch schon etwas verstaubte - Tropen im alten Bahnhof Atocha. Ja. Madrid ist noch nicht soo alt.

Toledo schon. Die alte Hauptstadt Kastiliens hat schon einiges gesehen, schließlich wollten auch die Mauren mal den Blick vom Berg genießen. Wer was erleben will, sollte gut zu Fuß sein, ganz ohne Anstrengung läßt sich Toledo schließlich nicht einnehmen! Wie fast überall in diesem von Wetter und ehemaligen Herren geprägten Land muß man sich mit uns ungewohnten Schließzeiten der Sehenswürdigkeiten abfinden. Ist die träge Zeit der Siesta aber überstanden, läßt sich vom höchsten Kirchturm der Stadt ein sehr guter Überlick gewinnen.
Bis hin zum Albacin, dem einstigen Königssitz, kann der Blick schweifen, über die Kathedrale und das im Laufe der Jahrhunderte weitgehend unveränderte Stadtbild. Viel zu trinken und die Kollision mit einem der zahlreichen Touristenbusse zu vermeiden ergibt einen interessanten, wenn auch anstrengenden Tag.
Wer auf Marzipan steht, sollte mal die Nonne bemühen, die aus ihrer kleinen Holzklappe heraus die (womöglich) von echten Nonnen zwischen ihren welken Brüsten gekneteten Köstlichkeiten zum Verkauf anbietet. Eine Spezialität aus Toledo.
Und irgendwann ist auch dieser Ausflug vorbei, Speicherkarte und Kopf voll, Beine wie Gummi, läßt man sich in den Regionalzugsitzplatz fallen und nickt sanft ein, während die Sonne endlich aufgibt und sich hinter dem Bahnhof ins Gras fallen läßt.
Den Spuckefaden abwischen und gerade noch rechtzeitig aus dem Zug springen ist eins: der Moloch hat uns wieder. Der Spaß ist vorbei.
Wer bis hierhin gekommen ist, bekommt einen Bonbon.

da war noch mehr... Logroño 2005

...und hier geht's zurück in die Gegenwart.